Neue Mitarbeiter, neue Informationen und neue Verantwortungen –  ist so Einiges, was auf eine Führungskraft zukommt, die einen Verantwortungsbereich übernimmt, in den sie sich erst einarbeiten muss. Das kann ein neuer Verantwortungsbereich im eigenen Unternehmen sein, etwa durch einen Karrieresprung, oder auch bei einem neuen Arbeitgeber. Damit die Führungskraft in ihrer neuen Position schnellstmöglich einen Mehrwert für das eigene Unternehmen schafft, sollte auch die Phase der Einarbeitung so effektiv und schnell wie möglich über die Bühne gehen. Aber wie geht effektiv und schnell?

 

Wir haben zwei grundlegende Denk- und Verhaltensstile identifiziert, die in ihrer Ausprägung kaum gegensätzlicher sein könnten. Die beiden Stile verdeutlichen vor allem eine sehr unterschiedliche Interpretation von Effektivität und Schnelligkeit: Was entfaltet im neuen Verantwortungsbereich besonders schnell Wirkung und hinterlässt auch langfristig Spuren?

 

Der Analytiker studiert seinen neuen Verantwortungsbereich

Manche neuen Führungskräfte studieren Protokolle, Prozesse, Berichte und Zahlen bis ins kleinste Detail, um dann anschließend Ursachenforschung zu betreiben. Das Ganze muss auch möglichst schnell gehen, denn man hat ja den Anspruch an sich, alle aufkeimenden (strategischen) Fragen der Mitarbeiter auch so vollständig und so gut wie möglich zu beantworten – alles andere wird als das Eingestehen von Schwäche empfunden.

Sobald die wichtigsten Ursachen auf dem Papier identifiziert sind, wird voller Tatendrang mit (gefühlt) guten Ideen interveniert. Dass diese Maßnahmen im Regelfall keine Besserung im Verantwortungsbereich bringen oder sogar zu Verschlechterungen führen, erzeugt dann großes Erstaunen und Betroffenheit. Aber eine Organisation ist nun mal ein komplexes Gebilde, in dem keine linearen Ursachen-Wirkungs-Zusammenhänge existieren und schon gar nicht über schriftliche Unterlagen zu verstehen sind.

 

Der Kommunikator erlebt seinen neuen Verantwortungsbereich

Der Gegenentwurf zur obigen Variante wird im Verhalten von  Jim Dougherty besonders anschaulich.  Er hat sich an seinem ersten Tag in seinem neuen Verantwortungsbereich als CEO bei Intralinks in das firmeneigene Call Center gesetzt und seinen Kunden und Mitarbeitern einfach mal zugehört. In seinen ersten Wochen hat er die Hälfte seiner Zeit damit verbracht: In Einzel- oder Gruppengesprächen hat er vor allem zugehört und offene Fragen gestellt, wie z.B. „Wenn Sie ab morgen in meiner Rolle wären, was wären die ersten drei Dinge, die Sie (anders) machen würden und warum?“.

 

Vertrauen aufbauen im neuen Verantwortungsbereich

In vielen Fällen wird von neuen Führungskräften erwartet, dass sie mit einer schon im Vorhinein vorbereiteten Lösung ins Unternehmen kommen und in kürzester Zeit dann auch alle Probleme beseitigen. Auch Dougherty wurde während seiner ersten Woche angerufen und nach seiner neuen Unternehmensstrategie gefragt. Als er erklärte, dass er zunächst ein paar Wochen bräuchte, alles kennenzulernen und erst anschließend einen Plan erstellen könne, wurde dies mit großer Verwunderung registriert.

Nach sechs Wochen und vielen Gesprächen hat Jim Dougherty seine Empfehlungen und Ideen formuliert und den Mitarbeitern diese wiederum in persönlichen Gesprächen vermittelt. Bei dieser Gelegenheit verdeutlichte er seinen Gesprächspartnern auch den Anteil, den diese an seinen Ideen und Empfehlungen hatten. Dieses Vorgehen hat nicht nur das Vertrauen gestärkt, sondern auch wichtige Impulse zur Veränderungsbereitschaft der Mitarbeiter bzw. der an Dougherty berichtenden Führungskräfte gegeben.

 

Zuhören, fragen, miteinander reden

Es liegt mir nun fern, die oben skizzierte Variante 1 zu „verteufeln“ und in der Realität mag eine Mischung beider Varianten absolut sinnvoll sein, dennoch bleibt festzuhalten:

  • der Anteil der neuen Führungskräfte, die sich zu wenig Zeit in der Anfangsphase zum Zuhören nehmen, ist m. E. immer noch erschreckend hoch,
  • bei vielen neuen Führungskräften ist der (teils ggf. sogar unbewusste) Reflex, möglichst schnell auf alle Fragen Antworten haben zu müssen, sehr ausgeprägt, um keine „vermeintlichen“ Schwächen zu zeigen.

Beides zusammen führt dann nicht selten zu dem, was sich die neue Führungskraft (und das Unternehmen) nämlich am wenigsten gewünscht hätte: eine „Bruchlandung“ im neuen Verantwortungsbereich schon in der Anfangsphase. Wer effektiv führen will, muss mit allen relevanten Akteuren in Kontakt treten wollen und können – und dies gilt ganz besonders für die ersten Tage und Wochen!

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