Tempo, Superdynamik, Wolkenkratzer, Smog – das sind prägende Eindrücke der großen Wirtschaftsmacht im fernen Osten. In China reist man mit dem Hochgeschwindigkeitszug 90 km in nur 20 Minuten, vergleichen wir U-Bahnsysteme deutscher Großstädte mit der Metro in Shanghai, sind wir altmodisch. Die Skyline der chinesischen Wirtschaftsmetropole stellt New York in den Schatten. Ich fühle mich immer an den Film „Metropolis“ von Fritz Lang erinnert. Unter den 21 Mio. Einwohnern von Shanghai leiden sicher viele an dem vorherrschenden Smog. Und zugleich, in dieser hochmodernen Wirtschaftskultur, haben Traditionen ungebrochen Gültigkeit. In Teil 2 unserer Reihe erkennen wir die Bedeutung einer jahrtausendealten Kultur des Umgangs miteinander.
Zunächst mal sieht alles sehr ähnlich aus wie in deutschen Unternehmen; eine Führungskraft im mittleren Management verdient in bestimmten Branchen ähnlich wie hier. Sie beherrscht Englisch auf einem mittleren Level. Die Tools, mit denen wir arbeiten, sind alle bekannt. Dann beginnen die Unterschiede.
In deutschen Unternehmen sind Workshops mittlerweile Alltagsgeschäft. In China sind sie als Instrument von Unternehmens- und Mitarbeiterentwicklung relativ neu, stoßen aber auf großes Interesse, weil meinem Empfinden nach die Chinesen neugierig auf Neues sind. Es ist sicher nicht zuletzt diese Kultur der Wissbegierde, die China zur heute schon mächtigsten Wirtschaftsnation gemacht hat.
Eine Kultur des Kollektivs: Die Gruppe zählt, nicht der Einzelne
Im Arbeiten miteinander werden dann zunehmend die Unterschiede deutlich. Ich konnte teilweise Emotionen nicht einschätzen, war mir nicht sicher: Gibt es Zustimmung oder ist der eine oder andere mit manchen Abläufen vielleicht nicht einverstanden? Es gab immer nur kurzen Augenkontakt. In Deutschland würden wir von einem Pokerface sprechen. Was steckt dahinter?
Ein wenig hat mir mein zweitägiges Cross-Cultural-Training geholfen, das ich noch vor meiner Reise absolviert hatte: Im chinesischen Kulturkreis steht das Kollektiv deutlich höher als das Individuum. Vollkommen im Gegensatz zu unserer Kultur, in der zunächst einmal jeder für sich selbst verantwortlich ist, herrscht dort auch im Arbeitsleben das Prinzip Großfamilie. Die Gruppe bietet Schutz und verlangt im Gegenzug unbedingte Loyalität, ein individuelles Heraustreten aus der Gruppe, etwa durch emotionale Äußerungen, wird als schwierig empfunden.
Das Gesicht wahren: Eine Scham-Kultur bestimmt den Umgang miteinander
Das zeigt sich auch im Umgang mit Feedback; eine offene Rückmeldung birgt verschiedene Gefahren. Es geht grundsätzlich darum, Gesicht zu wahren. Kaum etwas ist schlimmer, als sein Gesicht zu verlieren. So wird ein chinesischer Kollege kaum einen Fehler zugeben, seine Kultur erlaubt es ihm, zu schweigen, auszuweichen, ggf. auch die Unwahrheit zu sagen, es wird nicht so offen argumentiert wie bei uns.
Dieses Kultur-Prinzip des Gesicht Wahrens gilt auch umgekehrt. Wer den anderen in die Situation bringt, sein Gesicht zu verlieren, verstößt gegen ein Prinzip. Im Gegensatz zu unserer Offensiv-Kultur, in der wir Empfindungen und Wertungen manchmal recht unverblümt äußern, können wir in China eher von einer Scham-Kultur sprechen. Auch ein klares Nein gilt als unhöflich, ein unbestimmtes „wir werden sehen“ ermöglicht beiden Gesprächspartnern, Gesicht zu wahren.
Höflichkeit ist ein Begriff, der in China eine sehr große Bedeutung hat. Ich habe das bei einem eigentlich kleinen Erlebnis sehr stark empfunden. Übergibt ein Geschäftspartner einem anderen seine Visitenkarte, so tut er dies mit beiden Händen. Das Gegenüber beugt sich vor und studiert sie gründlich. Das gesamte Procedere signalisiert auf beiden Seiten die Wertschätzung des anderen. Bei uns steckt man Visitenkarten im Regelfall weg, oft ohne zuvor einen Blick darauf geworfen zu haben.
Alle bisher genannten Werte, wie die des Kollektivs, der Wertschätzung und der Höflichkeit bestimmen sehr viele Verhaltensweisen im Privaten und im Arbeitsleben. Neid etwa ist wenig ausgeprägt; ist einer im Team sehr erfolgreich, so ist in unserer Individualismus-Kultur Neid ein Gefühl, das als normal empfunden wird; in China sind alle im Team stolz auf ihren Kollegen und betrachten seinen Erfolg, als wäre es der ihre.
Netzwerken: Eine hohe Kunst und Kultur aus Fernost
Zu diesem Verständnis des Kollektivs, des Wertes von Beziehungen, passt auch die Bedeutung des Netzwerkens in China. Im Vergleich sind wir hier in Deutschland blutige Anfänger in dieser Kunst, aus Kontakten und Beziehungen Vorteile zu ziehen. Ich habe selbst erlebt, was das „über Bande spielen“ bedeuten kann.
Ein Bekannter aus Namibia hat einen Freund in Japan, der hat wiederum einen chinesischen Freund, der in Hong Kong lebt. Eine Freundin des Chinesen lebt in Shanghai und arbeitet dort als Beraterin; wir haben bei meinem Aufenthalt in China erste Synergien entdeckt und werden uns vielleicht auch künftig des Öfteren austauschen.
Solche Verflechtungen sind in China keine Ausnahme, sondern die Regel, die Verquickung von Privat und Beruf, bei uns eher ablehnend betrachtet, wird als absolut normal empfunden. Diese Offenheit färbt offenkundig ab: In China bilden deutsche Führungskräfte kleine Kolonien; ich wurde zu einem „German Stammtisch“ eingeladen und man begegnete mir sofort mit großer Offenheit, signalisierte mir „Du gehörst dazu“, aller erzählten offen von sich. Gerade diese Offenheit empfand ich für mich als „Neuen“ doch recht ungewöhnlich.
Eindrücke zum Standort China