Innere Achtsamkeit (mindfulness) bedeutet waches Wahrnehmen des inneren Erlebens. Alle Gedanken, Vorstellungen, Überzeugungen, Gefühle, Empfindungen und inneren Kommentare, nehme ich wahr ohne in sie einzusteigen und mich von ihnen „gefangen nehmen“ zu lassen. Innere Achtsamkeit ist also ein passives Wahrnehmen all dessen, was in mir geschieht.

Nach der neuesten Kognitionsforschung sind dabei das Erste und Feinste, was sich im Menschen verändert und am leichtesten unserer Selbstwahrnehmung entgeht, kleinste Veränderungen auf der Körperebene, z. B. im Muskeltonus. Diese setzen dann Assoziationsketten in Gang: Gefühle, Gedanken, Vorstellungen ändern sich.

 

Innere Achtsamkeit heißt wahrnehmen nicht bewerten

Der bekannte Neurologe Antonio Damasio nennt diese feinen „initialen“ ersten Veränderungen im Muskeltonus, die wir als Empfindungen wahrnehmen, „somatische Marker“. Um die ihnen folgenden Gefühls- und Gedankenketten offen wahrzunehmen, muss ich eine offene, passive, nicht wertende Beobachtungshaltung einnehmen. Das bedeutet, dass die körperlichen, mentalen oder psychischen Vorgänge, die ich in mir beobachte, keine Reaktion bei mir bewirken. Ich nehme meine Empfindungen und Assoziationen einfach nur neugierig wahr, ohne sie gleich zu bewerten, zu entfernen, zu verändern oder fortzuspinnen. Wenn ein Gedanke kommt, denke ich ihn nicht weiter, suche keine Lösungen oder Begründungen, sondern schaffe nur einen Raum in mir, der all mein inneres Geschehen aufnimmt. So halte ich einen passiven, neutralen Zeugenabstand gegenüber meinen Gedanken und Vorstellungen.

 

Innere Achtsamkeit ermöglicht Empathie und Wertschätzung

Was mir zuvor im Alltagsbewusstsein als unverrückbare äußere und innere Realität erschien, gerät so in Bewegung, relativiert sich als mein augenblickliches inneres Geschehen (Vorstellung, Weltbild), das ich als momentan von mir „geschaffene Wirklichkeit“ erkennen kann. Nun bin ich auch offen dafür, meine Sichtweise als meine eigene zu sehen. Mit innerer Achtsamkeit wird es demzufolge leichter, anderen ihre eigenen Sichtweisen zuzugestehen, und dies ermöglicht wiederum mir selbst einen Perspektivenwechsel. Ich gewinne neue Möglichkeiten des Denkens und Handelns. Durch Offenheit gegenüber meinen eigenen Gefühlen und anderen inneren Vorgängen wächst zudem die Sensibilität für die Befindlichkeiten anderer, die Fähigkeiten der Empathie und Wertschätzung, für Unterschiede und für Anderssein.

 

Im Alltagstress übernimmt der Autopilot

Wer im Alltag schnell reagieren muss, handelt fast immer aufgrund einer automatisch in sich selbst angelegten, dann aber als Wirklichkeit angenommenen „Landkarte“. Diese Tatsache wird dem Achtsamen bewusst, der diesen Umstand relativierbar wahrnimmt und so Abstand und Freiheit davon gewinnen kann. Dann können an der Peripherie des automatischen Gedankenstromes Zusammenhänge, Bilder und Erkenntnisse aufleuchten, die kognitiv, aus dem Alltagsbewusstsein heraus nicht entstanden wären.

Innere Achtsamkeit ist nicht jedoch gleichzusetzen mit innerer Versenkung, sondern bedeutet, innere und äußere Vorgänge mit ungeteilter, entspannter Aufmerksamkeit zu beobachten – während das Leben und damit auch die eigenen Handlungen weitergehen. Diese Fähigkeit ist z. B. durch Yoga und Meditation trainierbar.

 

Ein Weiser wurde einmal gefragt, warum er trotz seiner vielen Beschäftigungen immer so konzentriert und gelassen zugleich sein könne. Er sagte: „Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich sitze, dann sitze ich; wenn ich esse, dann esse ich; wenn ich spreche, dann spreche ich.“ Da fielen ihm die Fragesteller ins Wort: „Das tun wir doch auch, aber was machst du darüber hinaus?“ Er antwortete: „Wenn ich stehe, dann stehe ich; wenn ich sitze, dann sitze ich; wenn ich esse, dann esse ich; wenn ich spreche, dann spreche ich.“ Wieder sagten die anderen: „Das tun wir doch auch!“ Er aber sagte. „Nein, das tut ihr nicht, wenn ihr sitzt, dann steht ihr schon; wenn ihr steht, dann geht ihr schon; wenn ihr geht, dann seid ihr schon am Ziel!“               

nach Thich Nhat Hanh

Achtsamkeit bedeutet, sich voll und ganz auf das Jetzt und Hier einzulassen und das Umfeld und die eigenen Gefühle wahrzunehmen, zu beobachten und nicht zu bewerten. Wie üben Sie sich in innerer und äußerer Achtsamkeit? Ich freue mich über Ihre Beiträge in den Kommentaren.

In meinem nächsten Beitrag geht es um Intuition und Kreativität.

 

Teil 1: Führungsagilität: Auf die innere Haltung kommt es an

Teil 2: Führungsagilität: Die Kraft des Optimismus

Teil 3: Führungsagilität: Achtsamkeit – Was nehme ich wahr?

 

Category: Führung, Standpunkte