Die Bedeutung innerer Haltungen ist nach meiner Erfahrung als Führungskraft und Berater gar nicht hoch genug einzuschätzen, wenn es darum geht unterschiedliche Potenziale zu erkennen, zu fördern und zur Wirkung kommen zu lassen. Voraussetzung und Grundhaltung ist äußere Achtsamkeit (awareness) und innere Achtsamkeit (mindfulness) – also die Fähigkeit, äußeres und inneres Geschehen unvoreingenommen wahrzunehmen. Eine Fähigkeit die unverzichtbar für agile Führung ist. Achtsamkeit fördert Intuition: das Erspüren des noch nicht Gewussten, des Kommenden, des überhaupt Möglichen, der Potenziale in mir und in anderen, in Situationen und „gegebenen Realitäten“. Sie ermöglicht mir, meine vordergründigen Interessen, meine Voreingenommenheit und Ziele in der Waage zu halten und z. B. andere Menschen offen gegenüberzustehen und emphatisch mitzuschwingen mit dem, was sie bewegt. Es befähigt mich, mich selbst, meinen Bereich, meine Firma und meine ganze Umgebung als Teil eines Geschehens wahrzunehmen. Ich kann erkennen, dass nicht eindeutige und einseitige Ursachen die „Schuld“ an bestimmten Ereignissen und Entwicklungen tragen, sondern, dass alles in systemischen, fließenden Zusammenhängen steht.

 

Alltagsbewusstsein – Hilfe oder Gefahr?

Sich im Arbeits- und Lebensalltag mit all seinen Zwängen zu behaupten formt ein bestimmtes Bewusstsein, das ich hier Alltagsbewusstsein nennen möchte. Mit dem Alltagsbewusstsein orientieren wir uns in Raum und Zeit, befriedigen unsere Bedürfnisse, müssen die dafür notwendigen Ziele erkennen und dann die entsprechenden handlungsrelevanten Mittel und Wege finden. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist angesammeltes Wissen und Erfahrung. Dadurch wird die Flexibilität möglich, in vielfältigen Umwelten und Situationen adäquat zu reagieren.  Durch Zugriff, auf die meist in Sprache und Bildern repräsentierten Erfahrungen, kann der Mensch im Kopf quasi „probehandeln“, viele Schritte vorausplanen und die nach seiner bisherigen Erfahrung günstigsten und kürzesten Lösungswege finden. Das Gehirn selbst ist daran interessiert, Zeit und Energie zu sparen, denn sein Verbrauch an Körperenergie beträgt 20 bis 30 Prozent – mehr als jedes andere Organ. Daher besitzt es die Tendenz, für Gedanken und Erkenntniswege „Schnellstraßen“ einzurichten.

Mithilfe …

  • von Kategorien: dieses Ereignis, dieser Mensch gehört in die oder jene Kategorie
  • von Faustregeln: wenn das passiert, reagiere ich so
  • von Formeln: Mitarbeiter sind zu 20 Prozent Mitmacher und zu 80 Prozent Miesmacher

.. helfen wir uns ständig wiederholende Situationen zu bewältigen, ohne immer erneut nachdenken zu müssen.

 

Routiniertes Handeln birgt Gefahren

Wir verlassen uns auf Erfahrungen – und haben so einen Großteil unserer Handlungen automatisiert. Selbst bei Handlungen, die durch Nachdenken und Analysieren geprägt sind, verlassen wir uns meist auf den Speicher gemachter Erfahrungen, ohne zu prüfen, ob diese für die augenblickliche Situation noch relevant sind. Diese Fähigkeit ist einerseits eine große Stärke, ermöglicht und ökonomisiert sie das planende, ziel- und lösungsorientierte Denken und Handeln und das rasche Erledigen repetitiver Tätigkeiten – doch birgt sie gleichzeitig Risiken. Schon bei Routinetätigkeiten ist das automatische Vertrauen auf den Erfahrungsschatz riskant: Wenn wir z. B. auf dem täglichen Arbeitsweg das neu angebrachte Stoppschild übersehen, kann das verheerende Folgen haben. In komplexeren Zusammenhängen kann reines Erfahrungs- und Gewohnheitshandeln noch viel leichter fehlschlagen.

 

Erfahrung ist Schatztruhe und Gefängnis gleichermaßen

Fast keine Situation des Lebens ist im „Hier und Jetzt“ identisch mit einer Situation aus der Vergangenheit. Ich bin mit Gedanken, Gefühlen und Vorstellungen an einem anderen Platz als vor einem Jahr – und vermutlich sogar als gestern. Ich denke und handle unter anderen Voraussetzungen. Diese einfache Wahrheit wird aber häufig selbst bei wichtigen Entscheidungen in komplexen Situationen ignoriert, weil wir uns zu sehr auf gemachte Erfahrungen verlassen und uns von unserem Autopiloten leiten lassen. Aufgrund des Erlebten neigen wir dazu, wieder und wieder gleiche Wege zu gehen. Die Dinge, die erfolgreich waren, tun wir wieder, während wir andere, wenig erfolgreiche, vermeiden. So versuchen wir die Konsequenzen unseres Handelns vorauszusehen und zu kontrollieren. Diese Schatztruhe aus Wissen und Erfahrung stellt somit zugleich ein Gefängnis dar, welches uns am Ausprobieren ganz neuer Lösungswege hindert. Wenn wir an einer Weide von einem Elektrozaun einen kleinen Schlag bekommen haben, berühren wir solche und ähnliche Zäune nicht mehr – auch Jahre später nicht, wenn der Zaun schon längst nicht mehr unter Strom steht. Die Erfahrung sagt: „einmal habe ich das gewagt, einmal habe ich mich darauf eingelassen, einmal habe ich vertraut – das mache ich nie wieder“.

Doch wie können wir es schaffen auch bei negativen Erfahrungen offen für Neues zu bleiben? Lesen Sie dazu mehr in meinem nächsten Beitrag.

 

Leadership Agility: Ein Denkmodell und ein Prozess für die zukunftsfähige Organisation

Führungsforschung: Motivierte Mitarbeiter und Unternehmenserfolg – wie wichtig ist der Führungsstil?

Erreichbarkeit der Führungskraft – kein Ende absehbar?

 

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