Prägnanter kann das, was viele von uns in den vergangenen Wochen des Corona-bedingten Shutdowns erlebt haben, kaum auf den Punkt bringen: Da wird seit Jahren über digitale Transformation, New Work und Führung der Zukunft diskutiert. Immer neue Tools und Methoden versprechen den Durchbruch auf dem steinigen Weg in die Arbeitswelt von morgen. Und dann kommt ein Virus, mit dem bloßen Auge nicht erkennbar, und macht innerhalb von Tagen möglich, was bis dahin undenkbar war: Kollektives Arbeiten im Remote-Modus, virtuelle Meetings, weitgehend selbstorganisierte Teams, die eines jedenfalls kaum zu vermissen scheinen – ihre Führungskraft.
So war zu beobachten, dass die Mehrheit der Beschäftigten die mit der neuen Situation verbundenen Herausforderungen gut und konstruktiv annahm, jede und jeder auf seine individuelle Art und Weise. Die meisten erwiesen sich dabei nicht nur als gut organisiert (trotz paralleler Herausforderung durch Kinderbetreuung, oft unzulängliche räumliche Bedingungen etc.), sondern auch als stark intrinsisch motiviert. Eigeninitiative und Mut zur Improvisation machen plötzlich vieles möglich: von der (sonst oft nicht erlaubten) Nutzung privater Laptops und Mobiltelefone bis hin zur Verwendung neuer Tools zur virtuellen Zusammenarbeit.
Von der zielgeleiteten zur inspirierenden Führung
Damit ist schneller, als einigen vielleicht lieb war, deutlich geworden, dass sich unsere Vorstellung von Führung, aber auch die Ansprüche an die Menschen, die sie ausüben, grundlegend verändert haben. Viele typische Führungsaufgaben wie Aufgabenplanung, Zielvereinbarung, Koordination, Projektmanagement und Coaching haben – wie die vergangenen Wochen gezeigt haben – die Teams einfach selbst übernommen. Stand bislang das Ziel einer möglichst leistungsfähigen Organisation im Vordergrund, geht es künftig in erster Linie um Effektivität. Das erfordert neues Denken und eine veränderte Haltung: ein Führungsverständnis, das seine Aufgabe vor allem darin sieht, Wandel zu beschleunigen, Veränderungen zu gestalten, Menschen zu befähigen und ihr Potenzial zu entfalten.
Für Führungskräfte ist das nicht immer einfach. Sie stehen vor der Aufgabe, nicht nur sich selbst und ihre Rolle neu zu definieren, sondern auch den damit einhergehenden Kontrollverlust als obligate Begleiterscheinung zu akzeptieren.
Das klassische Führungsmodell des „Experten“, das vor allem auf fachlicher Autorität und starkem operativen Engagement beruhte, hat damit ebenso ausgedient wie das des „Achievers“, der sein Team über Ziele führt. In einer immer dynamischeren und komplexeren Welt zeichnet sich die Führungspersönlichkeit der Zukunft durch ihre Fähigkeit aus, Mitarbeiter zu inspirieren und zu wirksamer Kooperation zu befähigen. Nicht das Erreichen strategischer Ziele, sondern das Potenzial des einzelnen bildet den Dreh- und Angelpunkt. Werte wie Transparenz, Selbstverantwortung, Offenheit und Augenhöhe bilden das Fundament einer Unternehmenskultur, die zwar auch Höchstleistung fordert, menschliche und emotionale Themen aber nicht mehr völlig ausblendet.
Die Führungskraft als Katalysator des Teams
Gerade das „Menschelnde“ steht derzeit hoch im Kurs, denn wenn große Infektionsrisiken social distance gebieten, müssen Führungskräfte für virtual closeness sorgen. Im weitgehend virtuellen Raum kommt außerdem die Individualität der Mitarbeiter deutlich stärker zum Tragen. Hinter der Maske des vertrauten Kollegen in der Business-Rolle wird der Mensch sichtbar – wir alle können nach vielen Video-Meetings ein Lied davon singen. Nicht alle können mit dem intimen Blick ins häusliche Umfeld gleich gut umgehen. Die ungewohnte Intimität kann mit negativen Gefühlen wie Scham oder Verletzlichkeit verbunden sein. Diese Befindlichkeiten sollten Führungskräfte jetzt offen ansprechen.
Der Anteil virtueller Führung wird auch nach Ende der akuten Phase dieser Krise deutlich größer als bisher sein. Verantwortlichkeiten werden neu verteilt, Kontrollen abgebaut und Selbstführung gestärkt. Dafür müssen Führungskräfte auch ihre Strukturen und Prozesse anpassen. (Online-) Meetings brauchen ein klares Ziel und eine gut strukturierte Agenda. Chefs sollten neben den Fachthemen mehr Raum für Rückmeldungen und Feedback aus dem Team einplanen.
Agile Führung braucht Empathie – und Purpose
Die Dynamik und Komplexität außergewöhnlicher Situationen fordern uns alle in unserem Denken und Handeln heraus. Für Führungskräfte ist daher unerlässlich, unterschiedliche Perspektiven sorgfältig aufzunehmen, abzuwägen und Entscheidungen so zu treffen, dass die Mitarbeiter weiter an ihren Aufgaben und Zwischenzielen arbeiten können. Gerade jetzt müssen sie das Team dazu befähigen, unter unsicheren Umständen Entscheidungen zu treffen.
Damit gewinnt das Thema „Purpose“ neu an Bedeutung. Besonders eindrucksvoll erleben wir im Moment, dass auch die schiere Existenzsicherung ein äußerst motivierender und verbindender Purpose sein kann, der die Aufmerksamkeit auf die wirklich wichtigen Dinge lenkt und politische Spielchen an Bedeutung verlieren lässt. Wann also, wenn nicht jetzt, ist die Zeit, einen nachhaltigen Purpose zu finden und grundlegende Fragen zu klären: Wer sind wir? Wo wollen wir als Team und Unternehmen hin? Was sind unsere handlungsleitenden Prinzipien und was die konkreten Leitplanken unseres Tuns?
Nur eine Führungskraft, die sich über den tieferen Sinn ihres Tuns und ihr Führungsverständnis im Klaren ist, kann Mitarbeitern einen nachvollziehbaren Rahmen für selbstverantwortliches Arbeiten und belastbare Entscheidungen geben. Wenn Mitarbeiter künftig zu Recht mehr Eigenverantwortung einfordern, müssen Manager Orientierung geben und damit den Spielraum für Kreativität und Initiative des Teams klar abstecken.
Neue Führung kann sich nur in der gemeinsamen Reflexion entwickeln
Ein zukunftsfähiges Führungsverständnis entsteht nicht über Nacht. Es braucht Klärung und Orientierung: Mit welcher Führungslogik haben wir bisher gearbeitet und wohin soll sich die Organisation entwickeln? Führungskräfte müssen die eigenen Wahrnehmungsebenen kennen- und nutzen lernen und sich mit den Mustern und Grenzen ihres Denkens und Handelns auseinandersetzen. Erst auf dieser Grundlage kann ein neues gemeinsames Führungsverständnis entstehen.
Das Bild von der Krise als Chance ist etwas abgedroschen. Trotzdem bietet die aktuelle Situation eine gute Gelegenheit, den tiefgreifenden Wandel von Prozessen, Denk- und Arbeitsweisen zu reflektieren und Kraft zu schöpfen für den weiteren Weg der organisatorischen und persönlichen Entwicklung. Wenn sich Glaubenssätze („Home Office geht in unserem Unternehmen nicht“) in Luft auflösen und Verhalten von jetzt auf gleich radikal ändert, gilt es, das Momentum zu nutzen, um herauszufinden, welche Herangehensweisen sich in der Krise bewährt haben und welche Neuerung langfristig wirksam sein sollen.
Dieser Beitrag ist von Morten Lange aus dem Team von Detego. Er hat viele Erfahrungen in Workshops, Meetings und Coachings im virtuellen Bereicht gesammelt. Aber auch seine Kollegen im Team.
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