Regelmäßig erreichen uns die neuesten Statistiken zur Gesundheit in Deutschlands Unternehmen, mit alarmierenden Nachrichten zur seelischen Stabilität deutscher Arbeitnehmer. Stand über viele Jahre der „kaputte Rücken“ auf Platz Eins als Ursache von Arbeitsunfähigkeitstagen (AU-Tage), so macht ihm die Psyche zunehmend diesen Rang streitig. Seelische Probleme führen immer öfter zu einer Krankschreibung des Arbeitnehmers. Im Burnout gipfelt das Phänomen. Wir fragen uns: Spielt da auch der Führungsstil in Unternehmen eine Rolle?

Laut  TK-Gesundheitsreport 2013 umfassen zwar die meisten Krankschreibungen einen Zeitraum von etwa drei Tagen, hier vorrangig bedingt durch Erkrankungen der Atemwege. Bei den langfristigen Krankschreibungen stehen allerdings als Ursache psychische Störungen an allererster Stelle. Im  Schnitt 42 Tage, bleiben Männer hier sogar noch häufiger als Frauen dem Arbeitsleben fern.
Da liegt die Frage auf der Hand: Kann das etwas mit den Unternehmenskulturen und den Führungsstilen zu tun haben?

Anders gefragt:  Was ist der potenzielle Beitrag einer, auf eine spezifische Handlungslogik fokussierten, Führungskraft, damit der Mitarbeiter zum Patient wird?

Und die AU-Tage rasant steigen?

Graves hat das Modell evolutionär entstandener Denk- und Handlungslogiken entwickelt. Wenden wir diese Erkenntnisse doch einmal aufs Verhalten von Führungskräften an – und die Reaktion der Mitarbeiter hierauf. Immer unter Berücksichtigung der These, die Führungskraft fokussiere ausschließlich auf diese Kultur des miteinander Umgehens.

 

Szenario Eins: Handlungslogik Macht

Negativ charakteristisch in diesem Führungsstil sind Droh- und Druckreden, statt Wertschätzung erfahren die Mitarbeiter Geringschätzung, Feindbilder werden gezüchtet, um Uneinigkeit innerhalb der Mitarbeiterschaft zu schaffen und so die eigene Macht zu erhalten und zu stärken (divide et impera / teile und herrsche). Es  bilden sich Seilschaften im Unternehmen.

Und wie reagieren die Mitarbeiter? Wer kann, wechselt zu einem anderen Arbeitgeber, sonst ist oft innere Kündigung die Folge. Starre Regelungen, auch über den Betriebsrat, sorgen für ein Gefühl minimaler Sicherheit. Es kann auch zu kleinen Revolutionen im Unternehmen kommen oder zu einer Atmosphäre der Angst und der Schockstarre. Wer sich wegduckt, dem kann nichts passieren. Psychosomatische Magenbeschwerden (wie eine Faust wie im Magen) können eine Reaktion des Körpers auf die stetige Bedrohung sein.

 

Szenario Zwei: Handlungslogik Ordnung

Negativ charakteristisch in diesem Führungsstil sind restriktive Arbeitszeitmodelle, ein sehr ausgefeiltes Kontrollsystem, bis in Kleinste ausformulierte Anweisungen, was wann zu tun sei und ein hohes Maß an Standardisierung und dem Erfordernis konformen Verhaltens.

Und wie reagieren die Mitarbeiter? Eine Atmosphäre des sich Fügens herrscht in den Unternehmensfluren; selbst wenn Anweisungen unsinnig scheinen oder sind, werden sie befolgt, weil alle anderen es auch tun. Zugleich herrscht ein reges Mund-an-Ohr-Schimpfen über „die da oben“, die Gerüchteküche brodelt. Motiviert ist niemand mehr, Resignation breitet sich aus, „was sollen wir schon machen?“; ein fruchtbarer Boden für Neurosen.

 

Szenario Drei: Handlungslogik Leistung

Negativ charakteristisch in diesem Führungsstil sind das Heranzüchten von unerbittlicher Konkurrenz, jeder gegen jeden und die Missachtung jeglichen Privatlebens. Die Mail noch nach Mitternacht mit der Aufforderung, unverzüglich ein wichtiges Angebot für ein Unternehmen in China zu erarbeiten, ist eine Spielart. Noch ein Packen Arbeit mehr wird als Belohnung verkauft („Ihnen trauen wir das zu“), der Abschusskandidat – „Schwachleister“ – wird mit Arbeitsentzug bestraft und dem daraus resultierenden Empfinden der Wertlosigkeit.

Und wie reagieren die Mitarbeiter? Der Stresslevel in solchen Unternehmen ist im Regelfall exorbitant hoch, jeder lebt unter ständiger Anspannung. Krankheit ist ein Fluchtweg, die Tendenz zu Suchtverhalten steigt, etwa das sich Aufputschen mit leistungsfördernden Stimulanzien.

 

Szenario Vier: Handlungslogik Gemeinschaft

Negativ charakteristisch in diesem Führungsstil sind eine moralinsaure Atmosphäre „was, Sie wollen in unserem gemeinsamen Projekt nicht mitmachen? Ist Ihnen denn unser Team so wenig wert?“ – und ein Aussitzen unangenehmer Situationen „wird sich schon wieder einrenken“. Ernsthafte Probleme und Misshelligkeiten werden gern unter dem „Wattebausch“ – wir sind doch alle eine große Familie – erstickt.

Und wie reagieren die Mitarbeiter? Zwei Lager bilden sich heraus: das Lager der Gemeinschafts- und Teamgläubigen und das Lager der Kritiker eines überzogenen Wir-Empfindens . Jeder wartet erst einmal ab, bis der andere sich bewegt, „warum sollte ich zuerst aus der Deckung gehen?“ Es herrscht ein depressive Stimmung, das Empfinden, einen schweren Brocken im Magen liegen zu haben, kann zu psychosomatischen Magen-Darm-Beschwerden führen.

 

Szenario Fünf: Handlungslogik Integration

Negativ charakteristisch in diesem Führungsstil ist eine als selbstverständlich dargestellte Eigenverantwortung jedes einzelnen Mitarbeiters und das Postulat, jeder sei ein Solo-Unternehmer in diesem Unternehmen. Herkömmliche Modelle der Unternehmensführung werden infrage gestellt. Task Forces sind ein beliebtes Instrument, um die Dynamik voranzutreiben – nicht selten unter Missachtung interprofessioneller Empfindlichkeiten.

Und wie reagieren die Mitarbeiter? Unverständnis und völlige Überforderung, das Empfinden, schutzlos zu sein in einem Unternehmensumfeld ohne Grenzen und einer furchteinflößenden Freiheit kann zu Depressionen führen und einem hiermit korrelierenden Burnout.

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Category: Führung, Standpunkte