Antipathie gegen die Gemeinschaft beim Leistungs- und beim Machtmenschen
Kennen Sie eine Stellenausschreibung, die nicht nach Teamorientierung fragt? Es dürfte schwer fallen, eine zu finden. Menschen, die vom Typus eher Einzelgänger sind, kann das schon mal auf die Nerven gehen. Denn nicht jede Leistung wird in Teamarbeit besser. Manch geistiger oder auch Fertigungsprozess braucht Abgeschiedenheit. Manche Entscheidung muss einsam fallen, um nicht in endlosen Diskussionen zerredet zu werden. Zugleich aber geht es nicht ohne Team. Ein Unternehmen lebt vom lebendigen Miteinander, nicht von einer Summation von Einzelleistungen. Wie gelingt es, Gegner der Gemeinschaft für diese zu gewinnen?
Gehen wir da mal schrittweise ran: Was bedeutet Gemeinschaft? Der hohe Anspruch der Handlungslogik Gemeinschaft nach Clare Graves besteht in Toleranz, geteilten Erfahrungen und gemeinschaftlich getroffenen Entscheidungen. Wie für Entwicklungen kennzeichnend ist, ist die Handlungslogik Gemeinschaft eine Gegenbewegung zur direkt vorangegangenen Leistungskultur. In ihr zählte allein die Leistung des Einzelnen, die sog. Ich-Kultur. Was zu einem gnadenlosen Wettbewerb führte oder führen konnte – und diejenigen blieben auf der Strecke, die Merkmale der Leistungskultur nicht bedienen konnten, oder wollten.
In der Gemeinschaft werden im positiven Sinne Dinge gemeinsam reflektiert, aus verschiedenen Warten betrachtet. Auch die Selbstreflexion des Individuums wird durch die Auseinandersetzung mit der Gruppe gefördert:
- Wer bin ich?
- Was sind meine Fähigkeiten und Besonderheiten im Vergleich mit den anderen?
In der Gemeinschaft spielen Emotionen ein große Rolle, besonders deutlich wird hier der Gegensatz zur vorhergegangenen Leistungskultur und dem dort herrschenden Duktus „management by objectives“, der das Individuum zu einer Art Leistungsroboter machte.
Warum löst die Gemeinschaft bei manchen Akteuren im Unternehmen Unbehagen aus?
Das, was die Gemeinschaft im positiven Sinne gibt, fordert sie auf der anderen Seite des Geschehens auch wieder ein. Ein emotional geprägtes Arbeitsklima bedeutet auch ein sich zeigen müssen – und damit die Gefahr, sich angreifbar zu machen, negative Resonanz zu bekommen.
„Lassen Sie uns doch sachlich bleiben“ ist eine typische Aussage eines Players im Unternehmens, der möglicherweise gerade diese Folgen der Gemeinschaft fürchtet. Und seine Abwehr noch verstärkt in ein Urteil kleidet: „Gefühle haben im Business nichts zu suchen“. Wirklich nicht? Sind Menschen nicht mehr als Maschinen?
Wie kann es gelingen, den Skeptiker und Gegner vom Wert der Gemeinschaft zu überzeugen?
Zuerst gilt es, seine Perspektiven zu antizipieren. Welcher Handlungslogik fühlt er sich in seinem Denken und Tun besonders wesensnah? Was fürchtet er?
- Der Macht-Mensch wohl in erster Linie die Unterhöhlung seiner Position,
- der Leistungsmensch fehlende Anerkennung seiner Leistung, ein „Verschwinden“ im Einheitsbrei.
Ein schwerer Fehler wäre, den Macht- oder den Leistungsmenschen auf der Ebene der Gemeinschaft anzusprechen: „Machen Sie mit bei diesem gemeinsamen Projekt, Sie werden sehen, welche Freude die gemeinsame Arbeit macht“. Der Angesprochene würde erst recht zurückzucken.
Sinnvoll ist es, den Skeptiker, den Gegner von Gemeinschaft auf seiner Werteebene anzusprechen, ihm deutlich zu machen, dass es um einen Gewinn – und nicht um einen Verlust geht:
- Was kann der Machtmensch gewinnen durch die Gemeinschaft? Möglicherweise Unterstützer seines Vorhabens? So arbeiten Mitarbeiter, die auf einer Gemeinschaftsebene angesprochen werden, deutlich motivierter als solche, die nur Befehlen gehorchen: „Hier geht’s lang!“
- Was kann der Leistungsmensch gewinnen? Es gilt, klar herauszustellen, dass die Gemeinschaft nicht den Wert der Einzelleistung schmälern soll. Im Gegenteil: Durch Reflexion und konstruktive Kritik kann der Leistungsmensch seine Leistung noch verbessern. Und noch einen Schritt weiter gedacht: In einem transformativen Gruppenprozess können viele wertvolle Einzelleistungen sich zu einer neuen Leistung oder einem neuen Produkt potenzieren – das ohne die Einzelleistungen nie entstanden wäre.
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