In der konkreten Situation der Entscheidung: „Machen wir einen Change und was gilt es zu bedenken?“ scheint die Dimension der Spiritualität sehr weit entfernt und abstrakt. Clare Graves bezeichnete im Rahmen der fünf Handlungslogiken in einer Unternehmenskultur die Integration als die maximale Entwicklung, die rational zu erreichen sei. Spirituelles Bewusstsein bedeutet ein Verstehen von Zusammenhängen weit über die aktuelle Situation hinaus. Spiritualität als sechste Dimension oder auch Handlungsebene im Rahmen der Werteordnung eines Unternehmens hat mit religiösen Dimensionen oder gar Sektentum nichts zu tun.
Im konventionellen Lern- und Entscheidungsprozess wird Wissen von Vergangenem zugrundegelegt. Dies können Grundannahmen sein oder das „ZDF“-Prinzip“- Zahlen, Daten, Fakten. Entscheidungen auf dieser Basis können im Werden begriffene Prozesse nicht erfassen, geschweige Zukunft gestalten. Dies ist nur in Gestalt einer ‚Lernspirale’ denkbar:
- Wir müssen uns von der Gewohnheit lösen, nur das wahrzunehmen, was unsere eigenen Ansichten bestätigt.
- Wir müssen offen sein für die Wahrnehmungen und Einschätzungen Anderer, ja sogar in der Lage sein, Dinge aus deren Blickwinkel sehen zu können.
- Alle an einem Entscheidungsprozess Beteiligten müssen bereit dafür sein, dass aus ihrem interaktiven Handeln neue, überraschende Sichtweisen und Handlungsmöglichkeiten hervorgehen können, die keinem Einzelnen vorher vorstellbar waren.
Diesen Weg, im Lernprozess immer stärker in die Tiefe vorzudringen, nennt Otto Scharmer die “U-Theorie”. Erst so sind spirituelle oder auch intuitive Einsichten und Lösungen möglich. Die Meditation ist ein Weg, um zu Erkenntnissen über das Konstatieren von Gegebenheiten hinaus zu gelangen – und ein spirituelles Bewusstsein zu kultivieren.
In zahlreichen, Evidenz-basierten Studien ist nachgewiesen, dass Meditation die Gehirnareale aktiviert, in denen das unbewusste Denken stattfindet. Hirnforscher nennen es auch Intuition. „Ohne Intuition wäre selbst der analytischste Denksportler aufgeschmissen“, sagt Schach-Großmeister Wladimir Kramnik. Ein zentrales Merkmal von Meditation ist Achtsamkeit. Im westlichen Kulturverständnis verwechseln wir dies nicht selten mit Aufmerksamkeit auf bestimmte Ereignisse. Achtsamkeit aber bedeutet ein tieferes Schauen auf Dinge und Menschen, die uns umgeben, auf die Haltung, mit der wir unserem Umfeld begegnen und auf uns selbst. In der Meditation lassen wir die Eindrücke, die wir dort empfangen, ziehen, wir halten sie nicht fest und folgen ihnen nicht – wie es in der Aufmerksamkeit geschieht. Die höchste Kunst in der Meditation ist es, an nichts zu denken. Hier gewinnt man die größte Freiheit und Klarheit.
Fallbeispiel: Umgang mit Lösungslosigkeit
Magnus H., Vertriebschef eines großen Automobilzulieferers, steckte in einer sehr unangenehmen Situation. Sehr spät war die Anfrage zur Angebotserstellung für einen Großauftrag in China hereingekommen. H. hatte mit seiner Mannschaft schnell entschlossen, intensiv und unter großem Druck das Angebot erstellt. Nun aber sahen die Unternehmensrichtlinien vor, dass für einen Auftrag dieser Größenordnung eine intensive Compliance-Prüfung unabdingbar sei.
Zwar war das Angebot bereits an diese Abteilung weitergeleitet worden, aber H. wusste, dass bis zu deren Entscheidung ‚der Zug abgefahren‘ wäre. Der integre Vertriebschef steckte in einem massiven Dilemma: Er wollte weder gegen die Compliance-Regeln der Firma verstoßen noch diese enorme Chance verpassen. Auf Verstandesebene eine lösungslose Situation, die H. mit spontaner Wut erfüllte. In diesem Moment fiel ihm bei dem Begriff „Lösungslosigkeit“ eine Meditationsübung aus dem jüngsten Workshop für das Top-Management ein. H. wies seine Sekretärin an, dass er in der nächsten Stunde absolut nicht gestört werden dürfe.
Dann begann er mit der Übung aus der ZEN-Meditation: Er saß aufrecht und zugleich bequem und lenkte seine Aufmerksamkeit auf seinen Körper. Auf seine Beine, seine Arme, seinen Bauch usw. bis er sich seines ganzen Körpers zutiefst bewusst war. Dabei achtete er darauf wie sein Atem dem Körper entwich und wie er Atem holte. Er nahm die Gedanken wahr, die in ihm aufstiegen, ohne sich in die Gedanken selbst hineinzubegeben. Sobald er spürte, dass das aktuelle Thema ihn zu sehr in das Grübeln, in das Überlegen von Argumenten hineinzog, lenkte er seine Achtsamkeit wieder auf seine Atmung. Langsam kehrte eine große innere Ruhe in ihm ein, die er zu genießen begann. In diesem Moment, in dem er das aktuelle Thema hatte loslassen können, in einem Moment innerer Freiheit, spürte er, wie seine innere Blockade verschwand und er eine Lösung seines Dilemmas sah.
„Ich muss nicht warten bis die Compliance-Prüfung abgeschlossen ist. Ich habe die Möglichkeit, mit dem Abteilungsleiter und mit dem potentiellen Kunden Gespräche ‚out of the box‘ zu führen, die im regulären Ablauf nicht vorgesehen sind“.
Innerlich entspannt rief er nun zuerst den Abteilungsleiter an und erhielt eine Vorabschätzung, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für ein Okay war und eine Zusage, wann die formale Prüfung abgeschlossen sein würde. Sein nächstes Gespräch führte er mit dem Kunden. In diesem Telefonat zeigte er unverhohlen sein Interesse daran, den Auftrag zu erhalten und berichtete dann dem Kunden von dem in seiner Firma tief verankerten Prinzip der Qualitätssicherung. Dieses beinhalte, dass alle Zusagen aus dem Angebot aus jedem Blickwinkel heraus unverbrüchlich abgesichert seien. Um diesem Qualitätsanspruch im Interesse beider Vertragspartner gerecht zu werden, bat er um eine kleine Nachfrist, die der Kunde aufgrund der Offenheit H‘s, der Folgerichtigkeit der Argumentation und der guten Gesprächsatmosphäre gern gewährte.
Hinweis: Dieser Beitrag ist in Auszügen dem Buch “Change Management im Vertrieb – das Praxishandbuch für Entscheider” Haufe-Verlagsgruppe, entnommen