In meinem letzten Blogbeitrag habe ich ausgeführt, dass „Unternehmensagilität“ deutlich mehr ist als nur ein neuer Modebegriff: die Agilität eines Unternehmens kann über dessen Schicksal entscheiden. Wie kritisch Agilität als Erfolgsfaktor für ein Unternehmen ist, hängt von seinem Umfeld ab:
- Wie virulent ist der Markt und wie stabil ist das Kundenverhalten?
- Wie abhängig ist das Unternehmen von gesellschaftlichen, technologischen oder politischen Veränderungen?
- Wie abhängig ist das Unternehmen von Umwelteinflüssen?
- Wie stark sind die Mitbewerber in diesem Markt?
- Wie abhängig ist das Unternehmen von der Zulieferkette?
Die stetig zunehmende Vernetzung, Digitalisierung und Globalisierung bringt sukzessiv selbst jene Unternehmen unter Agilitätsdruck, die bislang in einem recht stabilen Umfeld agieren konnten.
Welche Faktoren haben Einfluss auf Unternehmensagilität?
Grund genug, sich nun der Frage zu stellen: Wie lässt sich Unternehmensagilität entwickeln bzw. verbessern? Eine vollständige Liste von Faktoren, die die Agilität beeinflussen, wird es wohl nie geben, denn am Ende wirkt sich alles mehr oder weniger stark auf die Agilität aus. Gleichwohl gibt es essentielle positive Wirkfaktoren für Agilität, in denen sich die agilen von den weniger agilen Unternehmen unterscheiden (Kienbaum Studie):
- aus Fehlern wird nachhaltig gelernt
- alle Kernbereiche des Unternehmens sind auf Kundenanforderungen ausgerichtet
- Mitarbeiter sind offen für neue Ideen und Methoden
- Führungskräfte gestalten proaktive und zielorientiert Veränderung
- für Lernprozesse, Verbesserungen und Ideenfindung werden genügend Kapazitäten bereitgestellt
- Handlungs- und Entscheidungskompetenzen werden so stark wie möglich an die operativ tätigen Mitarbeiter bzw. Einheiten übertragen
- Mitarbeiter werden zur Eigenverantwortung ermuntert
- Entscheidungen werden schnell umgesetzt
- es herrscht eine starke Vertrauenskultur mit vielen Freiräumen
- Kernkompetenzen werden fortlaufend erweitert und gepflegt
- Das Top-Management ist Vorbild für Veränderungsinitiativen
- die Strategieentwicklung ist ein kontinuierlicher Prozess, an dem nicht nur die oberste Hierarchie beteiligt ist
- das Unternehmen verfügt über Mittel und Methoden, relevante Trends und Marktveränderungen frühzeitig zu erkennen.
Und es gibt offensichtlich noch ein weiteres Merkmal, worin sich die agilen von den weniger agilen Unternehmen signifikant unterscheiden: weniger agile Unternehmen setzen bei Ihrer Entscheidungs- und Lösungsfindung viel stärker auf Erfahrungen, Routinen und Muster aus der Vergangenheit, was man auch als „ausgeprägte Pfadorientierung“ bezeichnet. Dieser Faktor ist aus Sicht der Organisationsentwicklung besonders herausfordernd, weil hier ein enormer Change im „Denken“ und „Führen“ stattfinden muss. Diese von B. Joiner als „creative agility“ bezeichnete Fähigkeit, geht von der Überzeugung und Einsicht aus, dass die Erfahrungen der Vergangenheit zunehmend ungeeignet für die Problemlösungen einer immer komplexer und dynamischer werdenden Zukunft sind.
Unternehmensagilität – stetige Entwicklung
Mit Blick auf die oben beschriebenen Faktoren ist unmittelbar klar, dass die Entwicklung oder Verbesserung der Unternehmensagilität ein gesamtorganisatorischer Veränderungsprozess ist, der strukturell-methodische, vor allem aber auch mental-kulturelle Veränderungen mit sich bringt. Wohlgemerkt, ein Prozess und weniger ein Projekt mit definiertem Anfang und Ende.
Jedes Unternehmen hat natürlich an unterschiedlichen Stellen Agilitätsschwächen und insofern kann ein gewisses Thema, beispielsweise „Fehlerkultur“ oder „Entscheidungskultur“, zu einem projektorientierten Schwerpunktthema werden, aber mitnichten „das Agilitätsprojekt“ schlechthin sein.
Agilität ist also kein Zustand, den man erreicht und dann behält, sondern ein überfachlicher Dauerbrenner, der zu unterschiedlichen Zeiten allenfalls unterschiedliche Schwerpunkte hat. Insbesondere dann, wenn das Gap zwischen der benötigten Agilität und der vorhandenen Agilität ein lebensbedrohliches Ausmaß zu erreichen scheint, reagiert die dann schon reichlich überhitzte Organisation erst recht mit den Lösungsansätzen der Vergangenheit, bleibt also auch und gerade hier dem „Pfad treu“: mehr Unsicherheit wird durch noch mehr Planung beantwortet; Fehler in der Planung werden durch noch mehr Controlling entlarvt. Niemand stellt dann Fragen wie „Sollten wir überhaupt noch so planen wie früher?“ oder „Kann eine Planung in dieser Form überhaupt noch fehlerfrei sein?“. Dieses gedankliche Herausspringen aus dem eingetretenen Unternehmenspfad ist nur möglich, wenn Führung dies erkennt, initiiert und/oder zulässt.
Agilie Führungskräfte für agile Unternehmen
Und hier sind wir wieder beim zentralen Kernpunkt der gesamten Agilitätsdiskussion: Alles ist schließlich vom Verhalten der Führungskräfte abhängig. Eine agile Organisation benötigt eine agile Kultur, eine agile Kultur benötigt eine agile Führungskultur, eine agile Führungskultur kann nur durch agile Führungskräfte gelebt werden. Genau aus dieser Logik heraus hat B. Joiner in seinem Buch „Leadership Agility – Five Levels of Mastery“ seinen Forschungsfokus auf Führungsagilität gerichtet. Er beantwortet hier, wie man Führungsagilität messen und entwickeln kann. Ich bin mittlerweile auch davon überzeugt, dass die Entwicklung bzw. Verbesserung der Unternehmensagilität nur über die Entwicklung der Führungsagilität gehen kann, was aber nicht ausschließt, das gleichzeitig und zusätzlich das eine oder andere Schwerpunktthema mit positiver Wirkung auf die Agilität in der gesamten Organisation behandelt werden kann.
Unternehmensagilität – ein neuer Modebegriff?
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