Das Wort „Agilität“ wird im Kontext von Führung bzw. Unternehmensführung immer häufiger in den Mund genommen. Handelt es sich hierbei nun um eine neue und tatsächlich notwendige Entwicklungsherausforderung für die Unternehmen oder nur um einen schicken Modebegriff, über den man gern in den einschlägigen Foren und Magazinen sowie unter Beratern diskutiert?
Um diese Frage beantworten zu können, ist m. E. hilfreich, die Auslöser der „Agilitätsdebatte“ zu betrachten und hier stößt man im Wesentlichen auf zwei Megatrends:
- ein sich ständig beschleunigender Wandel und die damit verbundenen immer kürzer werdenden Innovationszyklen – also eine ständig zunehmende Dynamik
- eine kontinuierliche Zunahme der Komplexität auf Basis einer immer weiter zunehmenden und teilweise jetzt schon nicht mehr beherrschbaren Vernetzung
Diese Megatrends wirken grundsätzlich in jeder Branche und an jedem Ort hochentwickelter Marktstrukturen. Sie sind momentan allenfalls in den Branchen noch unterschiedlich stark wahrnehmbar.
Was ist ein agiles Unternehmen?
Ein agiles Unternehmen ist in der Lage, mit diesen Herausforderungen so umgehen zu können, dass es langfristig erfolgreich im Markt bestehen kann. Dabei gibt es einen reaktiven und einen proaktiven Aspekt: reaktiv durch einen möglichst schnell änderbaren, also äußerst flexiblen Einsatz der vorhandenen Unternehmensressourcen, proaktiv durch möglichst frühes Erkennen oder gar Beeinflussen bzw. Initiieren von Marktentwicklungen.
Auch wenn diese Trends vorhersehbar waren, wurde bislang in den meisten Unternehmen relativ wenig zu diesem Thema gemacht. Die Gründe dafür sind relativ einfach zu beschreiben:
- der mit diesen Trends eindeutig in Verbindung zu bringende Leidensdruck war bislang für viele Unternehmen noch nicht groß genug,
- man scheut sich vor dem damit anzugehenden tiefgreifenden Wandel,
- es fehlt noch an Erfahrung für umsetzbare Konzepte zur Ausgestaltung agiler Unternehmensstrukturen und -kulturen.
Unternehmensagilität geschieht auf allen Ebenen
Denn Agilität muss sich am Ende auf allen Ebenen eines Unternehmens niederschlagen: der strategischen, der organisatorisch-strukturellen und der mental-kulturellen, da sich diese Ebenen gegenseitig bedingen und am Ende das schwächste Glied in dieser Kette entscheidend ist.
Dabei geht es z. B. um schlanke Prozesse, um Übertragung von Verantwortung und Entscheidung an die richtige Stelle, um selbst gesteuerte Teams, um (Re-) Aktionsgeschwindigkeit usw.. Man muss nicht viel Phantasie haben, um sich vorzustellen zu können, dass gerade Veränderungen der mental-kulturellen Aspekte für viele Unternehmen einerseits die größte Herausforderung darstellen und andererseits aber auch der wirksamste Hebel sind; dies gilt vor allem für die Führungskultur und die Führungsprinzipien. Es gibt nicht wenige Experten, die auf dem Weg zu einem agileren Unternehmen daher ganz klar den Fokus auf die Veränderung der Führungskultur bzw. auf die Entwicklung zu einem agileren Führungsverhalten setzen. Die Führungskräfte sind es nun einmal, die die Systemveränderung bei sich selbst und im Unternehmen initiieren und begleiten müssen: schlanke Prozesse können beispielsweise nur entstehen, wenn Führung dies zulässt bzw. sogar einfordert.
Alle bisher bekannten und verbreiteten Führungstechniken und Verhaltensweisen sind dabei in Frage zu stellen. Und es sind vor allem neue Fragen zu beantworten:
- Wie führe ich ein System, dessen Komplexität und Wechselwirkung keine einzelne Person mehr durchblicken kann?
- Wie führe ich ein System, in dem eine Planung über einen etwas längeren Zeitraum faktisch unmöglich ist?
- Wie gehe ich mit Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten um?
- Wie können wichtige Marktentwicklungen erkannt oder gar beeinflusst werden?
- Was im Kontext „Mitarbeiterführung“ sind in einem solchen System die DO´s and DON´Ts des Führungsverhaltens?
Woran erkennt man agile Führungskräfte?
Agile Führungskräfte lassen sich an vier Agilitätsausprägungen (vgl. auch B. Joiner, “Leadership Agility“) erkennen:
- sie setzen die richtigen strategischen Leitplanken und starten entsprechende Initiativen,
- sie können und wollen die Perspektiven der relevanten „Stakeholder“ einnehmen und leiten daraus auch Konsequenzen ab,
- sie betrachten Probleme und deren Ursachen aufgrund der ihnen innewohnenden Komplexität mehrdimensional und lassen sich davon nicht abschrecken,
- sie vertrauen nicht blind auf bewährte Lösungen, lassen also auch neue, kreative Ansätze zu,
- sie sind neugierig, entwickeln sich (nach wie vor) gern weiter und hinterfragen sich selbst und die Wirkung ihres Handelns immer wieder.
Gerade der letzte Aspekt, den B. Joiner auch „Self-Leadership-Agility“ nennt, scheint einerseits das größte Defizit bei den meisten Führungskräften und andererseits auch der Faktor mit dem größten Einfluss auf die Führungsagilität zu sein.
Und um die eingangs gestellte Frage doch noch zu beantworten: „Unternehmensagilität“ ist kein (neuer) Modebegriff, sondern die zentrale Herausforderung der Zukunft! Damit erhält die Frage „Wie lässt sich Unternehmensagilität messen und entwickeln?“ eine überragende Bedeutung. Grund genug, sich in zukünftigen Blogs weiter mit dieser Thematik zu beschäftigen.
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