“Vertrauen, die Währung von morgen“, heißt ein aktueller Buchtitel, der die menschliche Emotion im individuellen und im Wirtschaftshandeln untersucht. In einer Zeit, in der Messbarkeit und Kontrolle von Erfolg unser Denken dominiert, wächst als Gegenmittel das Interesse an einem nicht messbaren Empfinden. „Vertrauen zu schaffen, ist die oberste Priorität“, schreibt Jim Dougherty, früherer CEO und Lehrstuhlinhaber an der MIT Sloan School of Management, im Harvard Business Manager. Und das Trust Management Institut sagt: Kontrolle ist eine Technik, Vertrauen eine Qualität.
Mal ein kleiner Rundblick, wie es so aussieht mit dem Vertrauen in Unternehmen in Deutschland und im deutschsprachigen Raum. Beginnen wir mit den Warnsignalen: Im Februar 2014 hat eine unternehmensinterne Umfrage unter den Mitarbeitern von Vodafone in Düsseldorf festgestellt: Nur noch 31 Prozent würden Produkte ihres Unternehmens im privaten Umfeld empfehlen. Was steckt dahinter? Ein wichtiger Punkt: Nur 27 Prozent der Beschäftigten schenken dem Top-Management Vertrauen.
Vertrauen in Familienunternehmen
Da kommt der deutsche Mittelstand besser weg. Nach einer Umfrage des Edelman Trust Barometers 2014 haben 77 Prozent der Befragten Vertrauen zu den Klein- und Mittelständlern, nur noch 49 Prozent zu Konzernen und nur 39 Prozent zu aktiennotierten Unternehmen. Und woher der Bonus für den Mittelstand? Weil, vor allem bei Familienunternehmen, deren Nähe zu den Mitarbeitern auch extern Vertrauen einflößt.
CEO empfiehlt: Infos sammeln statt geben
Jim Dougherty hat einen sehr konkreten Tipp für Führungskräfte, um Vertrauen aufzubauen: Soviel Zeit wie möglich mit den Mitarbeitern zu verbringen und Informationen zu sammeln. Was tun Führungskräfte aber meistens? Sie sehen sich eher als Regisseur, der Aufgaben verteilt und Informationen gibt.
Wie gehen Leadership Agility-Führungstypen mit Vertrauen um?

Wir haben uns das Thema mal unter dem Blickwinkel der Leadership Agility angeschaut. In diesem Denkmodell gibt es drei Reifegrade (Levels) der Führungspersönlichkeit, vom problemlösungsorientierten Expert über den strategisch zielorientierten Achiever bis zum visionär-entwicklungsorientierten Catalyst. Ein bisschen wie ineinander verschachtelte Matroschka-Puppen (Abb.) kann die jeweils höhere Ebene auf Denk- und Verhaltensstile der vorherigen zurückgreifen: wenn dies in der aktuellen Situation optimal ist.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser“ – der Lenin (1870 – 1924) zugeschriebene Aphorismus spiegelt das Führungsempfinden des Expert auf den Punkt.
- Er setzt Vertrauen in sein Fachwissen, seine Disziplin und seine Erfahrung;
- Strukturen und Planung sind ihm wichtig,
- Gruppenlösungen flößen ihm eher Misstrauen ein,
- in seiner Führungsrolle versucht er das Unvorhersehbare so weit wie möglich in den Griff zu bekommen,
- Verantwortung übernimmt er entweder ganz oder gar nicht, Motto: keine halben Sachen,
- sein Vertrauen gilt der Erfahrung, nicht dem Potenzial seiner Mitarbeiter und
- er vertraut anderen Experts
„Vertrauen ist gut, Kontrolle auch“, sagt der Achiever und räumt damit dem Vertrauen einen höheren Stellenwert ein als der Expert.
- Er vertraut auf seine Kompetenz und die seines Teams,
- stabile Prozesse flößen ihm Vertrauen ein,
- sein Vertrauen gilt Menschen, die sich dessen (in seinen Augen) als würdig erwiesen haben
- und denjenigen, die ihm in Denken und Verhalten ähnlich sind (Selbstähnlichkeit).
- Er ist bereit, einen Vorschuss an Vertrauen zu gewähren; „Du hast die Chance, beweis‘ es mir“ und
- er vertraut denjenigen, die seinen Ideen zustimmen, andersherum betrachtet: Er ist anfällig für Schmeicheleien.
Dem Catalyst lässt sich keine markante Aussage zuordnen. Das zeigt deutlich sein vielschichtiges Denken, seine Offenheit für die situativ beste Lösung und seine Bereitschaft, für das Unvorhersehbare bereit zu sein. Der Catalyst ist das lernende Individuum, das eine lernende Organisation voranbringt.
- Er bringt anderen einen Vertrauensbonus entgegen und er vertraut seiner eigenen Beobachtungsgabe, seinem eigenen Empfinden und seiner Fähigkeit, im entscheidenden Moment das Richtige zu tun.
- Er vertraut in die Sinnhaftigkeit von Problemen – als Wegweiser, wo Handlungsbedarf besteht – und in seine Fähigkeit, die Probleme zu lösen,
- er setzt Vertrauen in Prozesse und die Steuerungskraft der Akteure, er greift erst dann ein, wenn die Selbstregulation versagt.
- Er achtet auf emotionale Schwankungen in der Organisation,
- er vertraut auf seine Fähigkeit antizipativen Denkens.
- Vertrauen aufzubauen, ist ein Element seines Führungshandelns; indem er alle einbezieht, um das System voranzubringen, gewinnt er seine Autorität.
“Wo Vertrauen fehlt, ist der Kontrollaufwand umso höher”
In der Bilanz, sagt das Trust Management Institut, „kommt eine Kultur des Vertrauens billiger als eine Kultur der Kontrolle, denn: wo Vertrauen fehlt, muss für die Kontrolle sehr viel Aufwand betreiben werden“.
Jim Dougherty hat bei seinem Antritt als CEO Vertrauen in beide Richtungen aufgebaut. Ganze sechs Wochen durchwanderte er alle Abteilungen, erkundete Stimmungen, holte Meinungen ein und fragte die Mitarbeiter, welche drei Dinge sie als wichtig erachten würden, wenn sie CEO wären. Erst nach diesen sechs Wochen kehrte er auf seinen CEO-Stuhl zurück und konzipierte das weitere Vorgehen, auch hier begleitet von vielen Feedback-Runden. Er sagt: Nur mit Vertrauen ziehen die Mitarbeiter mit, um das Unternehmen bestmöglich aufzustellen; sonst ziehen sie sich zurück auf Halbwahrheiten oder Lügen“.
Perspektiven auf Leadership Agility
Ein Denkmodell und seine Umsetzung in die Praxis
Fachkraft an der Spitze: Eine Frage des Zeitpunkts
Die Kunst des Schritts beiseite
Feedbackprozess und Potenzialentwicklung