Change-Verantwortliche sind mit zwei grundlegenden Ausgangssituationen konfrontiert. Situation Eins: (Zeit-) Druck von außen, der Wettbewerb, sich rasant verändernde Märkte, sogar der Gesetzgeber geben die Geschwindigkeit des Change-Prozesses vor. Wer sich verweigert, riskiert Wettbewerbsfähigkeit, gar die Existenz des Unternehmens. Situation Zwei: Die verantwortliche Führungskraft kann die Geschwindigkeit der Veränderung selbst bestimmen resp. signifikant beeinflussen. Dann ist ja alles klar? Dann kann ja nichts mehr schiefgehen? Weit gefehlt!

 

 

 

Auch ein großer Gestaltungsspielraum – falsch wahrgenommen – birgt ein hohes Risiko des Scheiterns.
Der  Change-Manager kann hierbei in zwei risikoreiche Extreme verfallen.

  1. Er kann  die Dinge „verständnisvoll“  langsam angehen lassen und riskieren, dass das gesamte Vorhaben ins Stocken gerät oder sogar in den alten Zustand zurückfällt.
  2. Führungskräfte, die zupackend und entscheidungsstark sind, unterliegen aber eher dem Risiko, ohne Not eine zu hohe Geschwindigkeit vorzugeben.

Die Geschwindigkeit ist in der Regel dann schon zu „drosseln“, wenn

  • die Anzahl weiterer aktuell laufender Veränderungen sehr groß ist,
  • die Veränderungstiefe oder Veränderungsbreite der intendierten Veränderung sehr umfassend ist.
  • der Widerstand (Nicht-Wollen, Nicht-Können, Nicht-Wissen) der Betroffenen sehr groß  ist,
  • das Projektkernteam, welches den “Change” initiieren und treiben soll, quantitativ bzw. qualitativ falsch besetzt ist.

Zwei nebeneinander Definitionskästen aus dem Template „Nick Roach“ oder „Adding Tabs is easy“

Veränderungstiefe: Was muss sich alles verändern, um die Veränderung erfolgreich umzusetzen? In welchem Maße wird die intendierte Veränderung Auswirkungen haben müssen auf Methoden und Technologien, Aufgaben und Prozesse, Strategie, Aufbaustrukturen sowie Verhalten und Einstellungen der Mitarbeiter  –  damit sie überhaupt wirksam wird?

Veränderungsbreite: Wie viele Organisationseinheiten wären betroffen? Ist die Veränderung nur für einen bestimmten Verantwortungsbereich relevant oder müssten sich auch wichtige zuliefernde oder dienstleistungsempfangende andere (interne) Organisationseinheiten verändern? Im Regelfall ist nie ein Bereich allein von der Veränderung betroffen.

move_modell

 

Aber wie kann der Change-Verantwortliche konkret erkennen, dass die gewählte Geschwindigkeit zu hoch ist? Er sollte frühzeitig Feedback-Systeme installieren, etwa „dialogorientierte Führungskonferenzen“ oder ein „Sounding-Board“.

Sounding Board: Arbeitskreis, in dem eine ausgewählte Anzahl von Mitarbeitern verschiedener Hierarchiestufen und Organisationseinheiten u. a. Feedback zur Akzeptanz resp. Abwehr gegenüber  der Veränderung gibt.

Wenn aus diesem Board und/oder von Keyplayern bzw. Leistungsträgern fortwährend Signale der Überlastung bzw. Überforderung aufgrund eines zu hohen Tempos gesendet werden, ist es Zeit, zu reagieren resp. das Tempo zu drosseln. Feedback-Systeme setzen natürlich eine glaubwürdige Art des Führens voraus. Die Mitarbeiter merken schnell, wenn die Führungskraft gewisse Dinge nicht hören will – und passen Ihre Rückmeldung dann dem vermeintlich Gewünschten an.

Die Überforderung einer Organisation aufgrund einer zu hohen Geschwindigkeit wird über kurz oder lang aber auch an weiteren Symptomen erkenntlich:

  • zunehmender Krankenstand der Leistungsträger,
  • Termine für die nächsten vier Wochen können nur noch an Tagesrandzeiten gefunden werden,
  • Reklamationen von Kunden zu bislang eigentlich fehlerfreien Prozessen nehmen zu,
  • Konflikte innerhalb der Organisation häufen sich
  • und, wenn es eigentlich schon zu spät ist: wichtige Keyplayer verlassen die Organisation. Hier ist die Führungskraft gut beraten, gerade dann ein ausführliches und offenes Exit-Gespräch zu führen, um in der Zukunft die Situation besser einschätzen und steuern zu können.

Hinweis: Dieser Beitrag ist in Auszügen dem Buch “Change Management im Vertrieb – das Praxishandbuch für Entscheider” Haufe-Verlagsgruppe, entnommen