Immer wieder erwähnen Gesprächspartner, dass sie aus kleineren Städten kommen; da denkt dann ein Deutscher vielleicht an Mannheim, Lüneburg oder Koblenz, ganz sicher nicht an Berlin, Hamburg oder München. Ich habe gelernt, dass „kleiner“ halt nur 5 bis 8 Millionen Einwohner bedeutet. Meine Gesprächspartner sind in diesem Fall Chinesen. Und im Vergleich mit einer Mega-Metropole wie Shanghai mit 21 Mio. Einwohnern ist selbst Berlin eine kleine Stadt. Schon das Beispiel zeigt, wie viel wir lernen müssen, wenn wir China auch nur annähernd verstehen wollen. In Teil 1 unserer Reihe „Expandieren nach China“ erkunden wir das „Innenleben“ deutscher Niederlassungen.
Immer mehr von unseren Kunden sind im asiatischen Raum, insbesondere in China tätig. Dazu gehören u.a. Automobil- und Automobilzulieferer-Unternehmen, in der Größenordnung von Konzernen, großen Mittelständlern und Hidden Champions, die hierzulande oft wenig bekannt sind, dafür aber weltweit produzieren und liefern. Speziell unsere Geschäftspartner aus der Automobilbranche setzen auf eine sehr große Mittelschicht in China mit einem sehr hohen Konsumbedarf.
China hat bei deutschen Unternehmen Konjunktur, das bestätigt auch eine Studie aus 2013, die die deutsche Handelskammer in China initiiert hat. Von den 500 befragten Unternehmen, die sich zunehmend auf den chinesischen Markt konzentrieren, gehören etwa 60 Prozent dem deutschen Mittelstand an. Deutsche Unternehmen sehen den chinesischen Binnenmarkt als Hauptwachstumstreiber.
Die wirtschaftliche Präsenz in China aber verlangt mehr als nur den Fokus auf den Kundenmarkt. China als Produktionsstandort fordert vor allem auch den Blick nach innen, in die Strukturen und Abläufe im Unternehmen. Die Mitarbeiter der deutschen Konzerne sind zu 98 Prozent Chinesen, im Topmanagement ist das Verhältnis etwa 50 zu 50 und in den mittleren Managementebenen sind etwa 75 Prozent der Führungskräfte Chinesen.
Hohe Fach- und Methodenkompetenz bei chinesischen Führungskräften
Was bedeutet das für die Unternehmen – und für uns? Das Fachwissen der chinesischen Mitarbeiter, vom einfachen Angestellten bis zur Führungskraft, ist sehr hoch, technologisch ist man uns dort weit voraus. Das ist auch nicht unser Ansatzpunkt. Für die Unternehmen und für uns geht es um das methodische Führungswissen. Und hier kommt vermehrt kundenseitig die Anfrage, den einen oder anderen Workshop im Ausland zu moderieren. Eine meiner Kolleginnen ist hier schon seit längerem aktiv. Für mich war es vor kurzem die erste Erkundungsreise nach Shanghai und China, um mir einen Eindruck der generellen Bedingungen zu verschaffen und Kontakt zu unseren Kunden, die dort vertreten sind, aufzunehmen.
Grundlegende Orientierungshilfen erhielt ich bei Institutionen wie der Außenhandelskammer und der Vertretung der Handelskammer Hamburg in China sowie über das German Business Centre, dem viele deutsche Unternehmen angehören, die in China bzw. Shanghai Niederlassungen haben. Hier erfuhr ich, dass Personalgewinnung und –bindung für die Niederlassungen einen sehr hohen Stellenwert haben.
Workshops, Feedback, Mitarbeitergespräch: Business as usual?
Über welche „Tools“ zum Erreichen von Unternehmenszielen verfügen die chinesischen Führungskräfte? Ich gebe zu, wir hatten zunächst die Vorstellung, dass methodisch noch großer Entwicklungsbedarf bestünde. Da haben wir uns getäuscht: Es werden die gleichen Methoden wie bei uns eingesetzt: 360-Grad-Feedback, Potenzialanalysen, klassische Workshop-Moderationen, Trainings, Coachings. Ich habe mir von einem großen deutschen Automobilzulieferer einen Change-Prozess schildern lassen. er verlief 1:1, wie wir einen solchen Prozess auch in Deutschland durchführen würden.
Unsere Geschäftspartner suchen für ihre Niederlassungen in China – wie sie es in Deutschland auch tun – externe Unterstützung zur Leadership-Entwicklung ihrer deutschen und chinesischen Führungskräfte; bei Veränderungsprozessen geht es um die Gestaltung und Moderation von Workshops, Optimierung von Abläufen und Institutionalisierungen klassischer Führungsinstrumente wie etwa Mitarbeitergespräche. Also alles ganz normal? Business as usual, wie wir es aus unserer Beratungspraxis hierzulande kennen?
Anderer Kulturkreis und andere Konventionen in China
Genau diesen Denkfehler müssen wir erkennen und vermeiden, denn gleiche Methoden bedeuten noch lange nicht, dass auch die Reaktionen ähnliche sind wie bei deutschen Führungskräften. Auch hierzulande gehen Führungskräfte mit individuellen Haltungen in die Veränderungsprozesse hinein; in China aber werden viel umfassender ein anderer Kulturkreis und eine andere Historie gesellschaftlicher Konventionen relevant.
Es geht um Kulturdimensionen, welches Bild haben wir von China und umgekehrt? Wie definieren wir Faktoren wie Macht und Distanz, wie gehen wir jeweils damit um? Sind die Unterschiede zwischen deutschen und chinesischen Führungskräften größer oder die Gemeinsamkeiten? Diese Fragen werden wir in Kürze im zweiten Teil unserer Reihe „Expandieren nach China“ vertiefen.