Da ist er wieder dieser Begriff, Work-Life-Balance. Ein Thema was immer wieder präsent ist. Sowohl in den Medien, Ratgeber-Literatur und Seminaren als auch inzwischen häufiger bei Unternehmen. Denn gerade sie möchten sich gegenüber potentiellen Bewerbern als modern und aufgeschlossen präsentieren. Und Work-Life-Balance soll vor allem für mich, einer Angehörigen der sogenannten Generation Y, über die sich alle momentan den Kopf zerbrechen, ein entscheidendes Thema sein. Aber stimmt das überhaupt und ist dieser Begriff noch zeitgemäß?

 

Die Idee, dass Arbeit und Leben zwei getrennte Bereiche sind, stammt aus Zeiten der industriellen Revolution. Bis zu diesem Zeitpunkt waren Leben und Arbeit so eng miteinander verbunden, dass eine Trennung undenkbar gewesen wäre, etwa in der Landwirtschaft. Im Zuge der Industrialisierung arbeiteten dann immer mehr Menschen in Fabriken und waren den ganzen Tag von ihrer Familie getrennt. Erwerbsarbeit und Familienarbeit wurden zwei getrennte Bereiche.

 

Ist Arbeit kein Leben – und umgekehrt?

Diese Tabelle zeigt spezielle Verhaltensweisen der drei Generationen der babybommer, der Generation X und der Generation Y. Die Kategorien sind auf das Arbeitsleben bezogen, bspws. auf den Führungsstil, die Art der Kommuikation oder die Affinität zu den sozialen Medien.
Zwischen den Generationen: Kategorien dienen der Überprüfung eigener Einstellungen und Verhaltensweisen

Der Begriff Work-Life Balance suggeriert, dass Arbeit nichts mit dem Leben zu tun hat und Leben nichts mit Arbeit. Was ist aber mit all denen, die in ihrer Arbeit aufgehen und ohne diese nicht leben wollen? Und was ist mit denen, die auch im „Leben“ arbeiten müssen? Der Familie ein Zuhause bieten, die Kinder erziehen, in ihrer Entwicklung begleiten – ist das keine Arbeit?

Die Annahme, dass zu Hause, außerhalb der Erwerbsarbeit, nur Freizeit auf uns wartet, ist zumindest in den meisten Fällen falsch. Wer hat nicht, wenn er nach Hause kommt, noch eine ganze Liste von To-Dos und Themen, die gemanagt werden wollen. Alles irgendwie unter einen Hut kriegen…. und wer hat nicht auch schon mal erlebt, wie unbefriedigend „freie Zeit“ sein kann, wenn wir uns mal wieder nicht aufraffen konnten und das Gefühl haben, die kostbare Zeit nicht richtig genutzt, ja verschwendet zu haben.

 

Work-Life-Balance: Ein viel zu enger Begriff

Vor allem aber: Work-Life-Balance funktioniert nur für Menschen, die überhaupt Erwerbsarbeit haben. Ein aktuelleres Konzept von Eberhard Ullich vom Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung Zürich schlägt eine Bezeichnung vor, die ich als wesentlich zeitgemäßer empfinde: Die Life Domain Balance. Hier zählen neben der klassischen Erwerbsarbeit auch Hausarbeit, Kindererziehung, Partnerschaft,  Hobbys, Sport, Gesundheit und Ehrenämter zu einer lebensbezogenen Balance.

Vielleicht sollten wir aber über die Balance unserer Lebensbereiche hinaus auch darüber nachdenken, was Arbeit für uns bedeutet. Das wird am besten deutlich, wenn sie plötzlich nicht mehr da ist.

 

Und was ist, wenn die (Erwerbs-)Arbeit weg ist?

Bereits in den 30er Jahren untersuchte die Sozialpsychologin Marie Jahoda (1907 – 2011) ein Dorf in Österreich, in dem nach der Schließung einer Fabrik die Mehrzahl der Einwohner arbeitslos geworden war; die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ gilt als Klassiker der empirischen Soziologie.

Jahodas Beobachtungen sind heute so gültig wie damals: Langzeitarbeitslosigkeit führt nicht etwa zu einem Aufbegehren, sondern zu passiver Resignation. Umgekehrt betrachtet, gewinnen wir durch Arbeit eine

  • Zeitstruktur
  • erweiterte soziale Beziehungen
  • Status und Identität und
  • Anbindung an die Ziele der Gemeinschaft

 

Wie füllen wir unsere Lebensbereiche und unsere Arbeit mit Sinn?

Um noch einmal zum Begriff der Life Domain Balance zurückzukommen: Ich denke, es geht um noch mehr als um die Vielfalt der Bereiche in unserem Leben;  es geht auch darum,  mit welchen Inhalten wir die einzelnen Bereiche füllen. Und darum, wie sinnvoll und befriedigend wir diese erleben. „Work-Life-Balance ist Bullshit“ provozierte erst vor wenigen Monaten Thomas Vašek, Chefredakteur des Philosophiemagazins „Hohe Luft“ in seinem Essay auf Spiegel Online.

Arbeit sei auch ein Teil unseres Selbstwertgefühls, meint der Autor und befindet sich damit in der Tradition des russischen Schriftsteller Leo Graf Tolstoi, der schon 1880 Arbeit als „unerlässliche Voraussetzung des menschlichen Lebens, als die wahre Quelle menschlichen Wohlergehens“ bezeichnete. Vašek geht mit Blick auf unsere Zeit noch einen entscheidenden Schritt weiter:

Um den Beruf als Berufung zu erleben, braucht es mehr gute Arbeit.

Gute Arbeit ist solche, die unseren Fähigkeiten entspricht, die uns voranbringt und erfüllt. Schlechte Arbeit hingegen hindert uns daran. Vašek will mehr Menschen in gute Arbeit zu bringen. Das aber liegt nicht alleine in der Verantwortung der Unternehmen. Hier muss auch der Einzelne sich seiner Erwartungen an sein Umfeld und sich selbst bewusst werden: was will ich? was ist gut für mich? Das alleinige Delegieren der Verantwortung an andere und an die Arbeitgeber – verschafft mir eine gute Arbeit! – bringt alle Beteiligten nicht weiter.

Serie: Zwischen den Generationen

Was motiviert einen, der schon alles hat?

Pragmatiker, Sinnsucher, Rebell?

Ideale: Lebensphase oder Generation?